Strategien gegen das eigene Befinden

Video, weniger als eine Lichtquelle - letztlich ein Anachronismus, zwei generationen zuvor buergerlich/revolutionaere Verklaerung. Jetzt mit den "neuen Medientechnologien" gerade noch den Monitor gemein - keineswegs zufaellig? Allzuoft missverstandene Imitation schon mehrfach simulierter Alltagsverwechslungen. Die Illusion darueber fuehrt zur erneuten Imitation. Ein Wettlauf um Konventionen.

Video, ein Surrogat der Angst. Die Schnellauftaste, der einzige Inhalt. Die Kassette, nur eine formalisierte Taeuschung ueber die verlorene Idee. Der Begriff Video, nur eine untaugliche Manifestation von gruendlich falschem Denken ueber einen Industrieprozess, aus Mangel an Plausibilitaet. Die Veraenderung von Gesellschaft, die Irritation von Augenblick und Status oder gar nur Perforierung von Welt, steht nicht zur Disposition.

Video, eine zweidimensionale Variante, die die Eindimensionalitaet laengst wieder zur erstrebenswerten Zielvorstellung erhoben hat, destruiert und manipuliert von dem Interesse einer immer-nicht- emanzipierten Gesellschaft, glaubwuerdig der Dynamik von Macht unterzuordnen.

Video, als Ornament gegen eine moderne Gesellschaft. Der Video- "Kuenstler" als Ornamentiker, als sentimentaler Stichwortgeber zynischer Rechtfertigungen kleinbuergerlicher Nichtigkeiten.

Video, nicht wie vormals angedacht, Oeffnung und Bewusstwerdung von Welt oder doch Hilfestellung auf dem Weg zur Hinwendung in eine aufgeklaerte und solidarische Gesellschaft. Vieleher, zur Erfahrung gezwungen, Verbloedung des Menschen sowie enormer Energieverlust, gepaart mit aufkommender Fremdheit und faktischer Ohnmacht, die so nur geschoent, einer resignativen Hoffnung ueberlassen bleibt - nach verlorener Authenzitaet. Das Technologische a priori verstaerkt sich. Haende und Beine - der Koerper - Augen, Ohren und Haut - das Gehirn, alles verschwindet zwischen einigen hundert Zeilen. Das engstirnige Ermitteln vorformulierter Algorithmen, getrieben von der Erinnerung genuiner, originaerer Deutlichkeit, verkommt im Zirkelschlag bekannter Routine.

Video, eigentlich nur glaubhaft und damit folgerichtig, auf der Seite derjenigen einer Gesellschaft, die an ihr nur den Vorteil suchen. Da entlarvt sich so nichts wie das jeweils herrschende Interesse selbst. Jedoch derartig verstellt und aesthetisiert, dass es ausschliesslich zum Konsum und zur Verdraengung neigt, denn zur Gegenformulierung, zum Streit ermutigt. Dann Kommunikation und Oeffentlichkeit provoziert - sondern ausblendet.

Kuenstlerisch ist dies aber von grosser Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit dieser Technologie, mit diesem Produktionsprozess von Gesellschaft, kann durchaus eine der hervorragenden Aufgaben und Herausforderungen von Kunst sein. Es gilt also, ungesicherte Vorschlaege dahingehend zu probieren, die die Problemhoehe weder belanglos rezeptieren, noch die Tragweite einem Resultatsdenken beliebig opfern, sondern aufmerksam, kritisch einer gegenwaertigen Epoche telekratischer Prozeduren ins Wort fallen.

Andersm gesagt, kuenstlerische Reflexionen sind selten, soll heissen, Malerei ist nicht Terpentin, Literatur ist nicht nur Kassette - obwohl, Politik nur Privileg, Wirtschaft nur Profit, Wissenschaft nur Wirklichkeit, meint Luege, Anabolika nur Sport, Fast food nur Ernaehrung und so wird Video und Oeffentlichkeit zur Kunst. Ob dies richtig oder falsch ist, hat sich laengst ueberholt und ist muessig anbetracht der mangelnden Vision und Perspektive. Ein nicht aus Konkurrenz zur Alternative verbrachter Alltag, also eher ein kuenstlerischer Prozess und somit einer heuristischen Methodologie folgend, kann einen qualitativ anderen Diskurs denunzieren, das heisst anzeigen, anschwaerzen, der dann die ueblichen Modelle und Kategorien verlaesst.

Video, u.a. neben Skulptur, Text, Musik, Film ist so sogleich eine der moeglichen Kommunikationsformen, die dann interdisziplinaer, oeffentlich und kuenstlerisch, ein Verlassen geuebter Muster mitgestaltet, im allerbesten, die Naehe eines Vorschlags beruehrt. Das Produktivste am Videoprozess ist hier der Prozess, verbunden mit einer Eroerterung groesstmoeglicher Ausdehnung ueber saemtliche Parameter mediataerer Umstaende hinaus.

Michael Haller, Professor fuer Medienoekologie Hochschule fuer bildende Kuenste Hamburg, Juli 1993