Ryszard W. Kluszczynski

VIDEOKUNST IN POLEN. EINE HISTORISCHE SKIZZE

Videokunst erschien in Polen in der ersten Haelfte der siebziger Jahre. Sowohl die Zeit, in der sie erschien als auch die Kuenstler, die als erste versuchten, sie als ein neues Medium in ihrem Schaffen zu benutzen - unter ihnen Mitglieder des Film Form Workshops - trugen dazu bei, dass die polnische Videokunst in ihrer Anfangsphase, so wie auch der experimentelle Film zuvor, den Charakter einer kuenstlerischen Selbstanalyse annahm.

In ihren Videoarbeiten versuchten sie verschiedene Aspekte der Funktionsweise von Fernsehen zu untersuchen - sie analysierten die Programme, sowie den Platz, den das Fernsehen im alltaeglichen Leben einnimmt (Andrzej Rozycki), studierten das Phaenomen der Direktuebertragung (kollektive Realisierung des Workshops) oder richteten ihre Aufmerksamkeit auf das TV-Set als einem neuen Fetisch der Massenkultur (Pawel Kwiek).

Waehrend alle oben genannten Projekte 1973 als Installationen realisiert wurden, war die "Bild Sprache" von Wojciech Bruszewski und Piotr Bernacki im selben Jahr die erste Arbeit, die auf einem Videotape aufgenommen wurde. In ihr versuchten die Kuenstler abstrakte Sprachsymbole in konkrete Bilder zu uebersetzen.

1974 realisierten Bruszewski und Kwiek ihre folgenden Arbeiten, die sich jetzt auf das Problem der Artikulation des Raumes konzentrierten. Bald darauf stiessen andere Kuenstler zu der Gruppe derer, die mit der Videokamera arbeiteten: Jolanta Marcolla, J@\242zef Robakowski, Zbigniew Rybczynski, Anna Kutera, Kazimierz Bendkowski, Ryszard Wasko, Andrzej Paruzel, Janusz Szczerek, Janusz Kolodrubiec, das Laboratorium der Praesentations- techniken (Jadwiga Singer, Jacek Singer, Gzregorz Zgraja, Marek Kolaczkowski), Antoni Mikolajczyk, Romuald Kutera und andere. Infolgedessen wurde das Gebiet der Haupbeschaeftigungen erheblich ausgeweitet und eine grosse Vielfalt von unterschiedlichen Arbeiten realisiert.

Wie auch im Fall des experimentellen Films beschaeftigte sich im Videobereich der Grossteil der Arbeiten mit der Beziehung zwischen Realitaet, ihrer audiovisuellen Repraesentation und dem Rezipienten. Sie arbeiteten den relativen Charakter der Wahrnehmung heraus, der durch das elektronische Bild vermittelt wird, sowie das Verschwimmen der Grenzen zwischen Reproduktion und Kreation und den daraus resultierenden Moeglichkeiten der Rezeptionsmanipulation. Die Konfrontation der "elektronischen Realitaet" mit dem Wissen des Zuschauers ueber die Welt provozierte diesen ueber die Natur des Mediums an sich nachzudenken, ueber die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung und ihrer Glaubwuerdigkeit und ebenso ueber Moeglichkeiten von Kommunikation zu reflektieren. Die oben genannten Anliegen kamen sehr oft in den Arbeiten Bruszewskis (Baender und Installationen) und Mikolajczyks (meist Installationen) zum Ausdruck. In der Zwischenzeit fuehrten Robakowski und Wasko ihre Experimente mit mechanischen und biologischen Aufnahmen fort (solcherart, wie sie von Robakowski in seinem Film "Ide" (I am going) initiiert worden waren), in denen sie verschiedene Aspekte der Wechselbeziehung zwischen dem Equipment und seinem Benutzer analysierten. Diese Experimente ermutigten die Entwicklung der Videoperformance (als eines neuen Typs der Realisierung), die bald zu einem der verbreitetsten Ausdrucksmittel polnischer Videokuenstler werden sollte.

Es ist ausserdem beachtenswert, dass - zusaetzlich zu Videobaendern, Performances und vielen Installationen - in den Jahren 1978-79 einige Arbeiten von Andrzej Paruzel mit interaktivem Charakter entstanden, die eine aktive Teilnahme des Publikums verlangten.

Die Beschaeftigung mit Video als einem neuen Medium kuenstlerischen Ausdrucks war gekoppelt mit der Analyse des Fernsehens, das, trotz seiner technologischen Identitaet mit Video, als ein eigenes Medium entgegengesetzter Natur gesehen wurde. Zu der Zeit proklamierten polnische Medienkuenstler ihre Distanz zum Fernsehen - eine Haltung, die sie bis Ende der achziger Jahre beibehalten haben. Ihre Opposition war sowohl kuenstlerischen als auch offen ideologischen Charakters. Robakowski schrieb 1976: "Videokunst ist vollkommen inkompatibel mit dem utilitaristischen Charakter dieser Institution (Fernsehen); es ist eine kuenstlerische Bewegung, die durch ihre Unabhaengigkeit den Mechanismus der Manipulation der Menschen denunziert."

Die fruehen 80'er Jahre waren durch die enthusiastische Begeisterung fuer die Solidarnosz Bewegung gekennzeichet, die in der Avantardekunst in das spektakulaere Ereignis der Ausstellung "Konstrukcja w procesie" (Konstruktion im Prozess) muendete, die im Oktober 1981 in Lodz organisiert wurde. Sowohl "Konstruktion im Prozess" als auch andere Ausstellungen waehrend dieser Zeit - besonders "Nowe zjawiska w sztuce polskiej lat siedemdziesiatych" (Neue Phaenomene in der Polnischen Kunst der 70'er Jahre) in Sopot im Juli 1981 und "Falochron" in Lodz im Oktober 1981 - gaben einen Ueberblick ueber die Tendenzen der polnischen Avantgardekunst des vergangenen Jahrzehnts, in welchem Film und Video wichtig wurden.

Die Verhaengung des Kriegsrechts im Dezember 1981 fuehrte zum Zusammenbruch des bestehenden kuenstlerischen Lebens. Durch den Boykott der staatlichen Patronage der Kunst durch die Kuenstler entstand ein neues, unabhaengig funktionierendes System von Kunst im sozialen Leben. Die Kunst schuf sich ihre eigenen alternativen Orte: Galerien in privaten Wohnungen, Kunstpilgerfahrten, kuenstlerische Picknicks und Open Air Veranstaltungen, die Kuenstler, Kritiker und Publikum zusammenbrachten. Einer der neuen Treffpunkte - "Strych" (die 'Dachbodengalerie') in Lodz - beherbergte das "Nieme Kino" (Stummfilmfestival), das in den Jahren 1983-85 stattfand und das wichtigste Forum fuer Avantgardefilm , Videokunst und andere kuenstlerische Aktionen, wie Performances, Konzerte und Happenings darstellte.

Der groesste Teil der avantgardistischen polnischen Kunst der "bewegten Bilder" wurden in den 80'er Jahren (wie auch heute) mit Video aufgenommen. Der fehlende Zugang zur Filmtechnik (die dem Film Form Workshop zur Verfuegung stand) zwang die unabhaengigen Kuenstler auf Videoausruestung auszuweichen, welche leichter zu bedienen und besser verfuegbar (low technology) ist. Video wurde so zum Basismedium des kuenstlerischen Ausdrucks fuer unabhaengige Medienkuenstler in Polen.

In den 80'er Jahren spaltete sich die Videokunst Polens in zwei unterschiedliche Richtungen. Die erste wurzelte in der Tradition des Konzeptualismus und drueckt sich in den Arbeiten Jozef Robakowskis am klarsten aus. Seine Baender sind streng durchkomponiert. Der von Robakowski betonte objektive Charakter ist von ihm mit ironischer Abgehobenheit und Selbstkritik bezueglich des - ihnen in der Struktur eines jeden Werkes - innewohnenden Selbstportraits behandelt worden. Er schrieb selbst: "durch das ganze Leben meiner Kunst hindurch bediene ich mich der Manipulation, die mir hilft, ein klares, persoenliches Bild zu zeichnen."

Die andere Richtung betonte - im Gegensatz zur Vorherrschaft des Intellektes - die Bedeutung von Gefuehlen und ihren irrationalen Quellen (auch wenn dies manchmal in einer klaren, rationalen Art und Weise formuliert wird). Jerzy Truszkowski (und spaeter Krysztof Skarbek), deren Arbeiten repraesentativ fuer diese Haltung sind, betonten die intuitive und spontane Inspiration ihrer Aktivitaeten. Ihre Arbeiten sind repraesentativ fuer die postkonzeptuelle Phase in der Kunst. Von verwandtem Charakter sind die Arbeiten von Zbigniew Libera. Zwar reduzierte er den Einfluss des emotionalen Elementes, gab seinen Arbeiten jedoch einen kontemplativ-meditativen Charakter. Um die Botschaft dieser Arbeiten zu rezipieren, ist der Betrachter gezwungen, die emotionale Dimension der Arbeit zu transzendieren. Auch da ist jedoch die emotionelle Reaktion der Ausgangspunkt fuer weitere Interpretationen.

Eine eigene Position innerhalb dieses Trends wird durch die Arbeiten Barbara Konopkas vertreten. Ihr Beitrag zur Polnischen Videokunst liegt in einem neuen Typus von Sensibilitaet, der in einer traumaehnlichen Poesie verwurzelt ist und musikalische Inspiration mit Performancekunst kombiniert. In Konopkas Arbeiten verbindet sich der kontemplative Charakter der Botschaft mit einem Interesse in der visuellen Dimension der Arbeit.

Kontemplativitaet ist auch in den Arbeiten von Zygmunt Rytka praesent, dessen visuell effektive Konstruktionen die Botschaft der Unmoeglichkeit der Realisierung eben solcher Projekte uebermitteln, denn durch ihre Natur sind solche Projekte innerhalb des kosmischen Paradigmas der Unendlichkeit situiert. Rytkas Arbeiten verlangen vom Betrachter eine hermeneutische, konzentrierte Einstellung. Die Anwesenheit rationaler Elemente verbindet seine Arbeiten mit der Richtung, die durch Robakowski repraesentiert wird.

Ausserhalb dieses definierten Rahmens muessen die neodadaistischen Arbeiten Adam Rzepeckis (der manchmal mit Gzegorz Zygier zusammenarbeitet) und die Computerprojekte Maciej Walczaks gesehen werden, der audiovisuelle "Live"-Konzerte mit besonderer Betonung der visuellen und auditiven Bewegung kreiert. Die Computer "programmes-scores" werden jedesmal anders ausgefuehrt, was an den musikalischen Hintergrund der Kuenstler erinnert. (was ein Hinweis auf..)

Die so entstandene Situation kann wie folgt charakterisiert werden: Waehrend der "Hauptschwerpunkt" der medialen Tendenzen der 70'er Jahre in den analytischen Charakter der Polnischen Videokunst muendete, wurden die 80'er Jahre Zeuge einer Vorherrschaft des subjektiven Elementes. Der Gegensatz zwischen Medialismus und Intermedialismus, der in den 70'ern den Massstab fuer Entwicklungen und Veraenderungen der Avantgardekunst des "bewegten Bildes" in Polen setzte, liess in den 80'er Jahren die Spannung zwischen Rationalismus (disziplinierte Kontrolle der Arbeit, Abgeloestheit, Ironie) und Irrationalismus (Unmittelbarkeit, Emotionalitaet, meditative Qualitaet) entstehen.

Die juengste Generation der Videokuenstler Polens am Anfang der 90'er Jahre befindet sich ausserhalb dieses Konfliktes, der programmatisch-theoretischen Diskussionen und der Antagonismen, die im stuermischen Jahrzehnt der 70'er Jahre wurzeln. Die Arbeiten der oben erwaehnten Barbara Konopka, Krzysztof Skarbek und Maciej Walczak, sowie die von Miroslaw Emil Koch, Jan Bruszek und Leszek Niedochodowicz beziehen sich auf die individuelle Sensibilitaet und konstruieren ein Paradigma, das sowohl aus Splittern der persoenlichen Biographie, als auch aus Elementen des universellen, symbolisch-archetypischen kollektiven Gedaechtnisses besteht. Die wachsende Anzahl junger Kuenstler, die sich mit Video beschaeftigen, veranlasst mich zu der Vermutung, dass die Zukunft der Polnischen Videokunst dieser Generation gehoert.

Ryszard W. Kluszczynski (Uebersetzung: Inke Arns)