Uebersetzung des Textes

"CE MONDE TEL QUE NOUS LE VOYONS EST EN TRAIN DE PASSER."

Dieser Satz von Paul von Tarsus, zitiert von Paul Virilio in dem Motto seines Buches "Aesthetik des Verschwindens" (Esthetique de la disparation, 1979) scheint eine adaequate Einfuehrung fuer das Vorwort zu einer Ausstellung von Videokunst zu sein. Video (nicht unbedingt Videokunst) spielt eine der zentralen Rollen im "Verschwinden 'unserer' Welt, so wie wir sie sehen" und kennen. Video zeigt heute - besser als die meisten anderen Medien - dieses "Verschwinden" unserer Welt: Video bietet nicht nur ein visuelles Bild dessen, was 'unsere' Welt ist. Es ist gleichzeitig ein essentieller und symptomatischer Teil dieser Welt und vor allen Dingen zeigt es sowohl was diese Welt gerne sein wuerde als auch die Fiktion/Vorstellung die sie von sich selber hat. Eine aehnliche Position hatten davor das Fernsehen in den 60'ern, die Zeitung und das Radio inne.

Gleichzeitig ist Video heute etwas anderes als die frueheren Medien, weil es sich von ihnen durch den technischen Aspekt und die Moeglichkeiten, die es anbietet, unterscheidet - und nicht einfach durch das Medium, das es benutzt. Denn heutzutage ist Video im Prinzip so etwas wie ein Parasit des Fernsehens. Wir sollten uns fragen, ob Videoclips ueberhaupt eine Bedeutung haetten (auch wenn sie technisch machbar waeren), wenn es das Fernsehen nicht geben wuerde. Es ist auch symptomatisch, dass die Produzenten von mehr als der Haelfte der Videos von Marina Grzinic und Aina Smid Fernsehgesellschaften sind. Video etabliert den essentiellen Teil der neuen "Informationsart", um einen Terminus von Mark Poster zu benutzen, d.h. der elekronischen Art der Information, in welcher der Computer als zweites, vorwiegend an Video gekoppeltes Element dieser neuen Realitaet und neuen Welt integriert ist. Die Welt, so wie wir sie kennen, ist im Verschwinden begriffen und diese Tatsache sowie sowie die Art des Verschwindens ist sichtbar. Visualitaet hat sich zum dominierenden Modus unserer Kommunikation mit der Welt und der Welt in uns entwickelt.

Video ist mehr als ein konstituierender Teil der gegenwaertigen Restrukturierung und "Komplexifizierung" der Welt, in der wir leben. Nicht nur weil Video diese beiden Prozesse sichtbar macht, wie jedes Kunstwerk und wie jedes Medium. Video zeigt uns die existierende Welt - wir koennen es postmodern nennen, auf seine ganz eigene Art und Weise, die nicht unbedingt unserer eigen entspricht.

Was genau ist diese Art und Weise? Lassen Sie uns mit Video beginnen. Wenn wir Video betrachten, "sind wir in Kino- Geschwindigkeit und nicht in Kino-Zeit". "Fuer mich," faehrt Virilio fort, "ist Video eine Leere. Es ist etwas, das in Aether, in elektronischem Aether ist."1

Wir koennten hinzufuegen, dass Video auch das Gefuehl des Sublimen hervorruft. Immanuel Kant, auf den sich die Mehrzahl der gegenwaertigen Publikationen ueber das Sublime bezieht, schreibt im õ25 der "Kritik der Urteilskraft", dass das Empfinden des Sublimen durch etwas, das wir als absolut "great" und "beyond comparison" erfahren, hervorgerufen wird. Das Sublime unterscheidet sich vom Schoenen in derselben Weise, wie sich die Schoenheit einer Blume von dem sublimen Gefuehl unterscheidet, das wir erfahren, wenn wir gewaltige Bergmassive betrachten oder uns die Leere des Weltraumes vorzustellen versuchen. Das Sublime ist nicht schoen. Video ist es auch nicht; es ist interessant, kalt, "Haughty", "removed" und aesthetisch.

Es ist kein Zufall, dass im vergangenen Jahrzehnt das Sublime zum ersten Mal seit der Romantik zu einem wichtigen theoretischen "issue" wurde. Anscheined entspricht irgend etwas in der gegenwaertigen Kunst und Kultur diesem Gefuehl, das wir weder als schoen noch als wahr im woertlichen Sinne bezeichen koennen. "Die Hoffnung, die Wahrheit zu finden indem man sie sucht, ist wirklich falsch... Gluecklicherweise ist die Kunst nicht auf dieser falschen Faehrte. Sie weiss ganz genau, dass Illusion der einzige Weg ist, etwas zu finden, denn wenn etwas gefunden werden soll - 'gefunden' ohne gesucht worden zu sein - so kann dies nur ueber den Umweg ueber etwas anderes geschehen."2

Video evoziert das Gefuehl des Sublimen. Soweit es Kunst ist, schafft es eine Illussssion, durch die wir die Wahrheit erlangen. Nichtsdestotrotz, wenn wir uns einen Videoclip als die gegenwaertig verbreitetste Form des Videos anschauen, koennen wir uns fragen, ob diese Form in uns einen Eindruck aehnlich der von Baudrillard beschriebenen hervorruft, die uns zur Wahrheit fuehren wird? Augenscheinlich nicht. Ebenso sagt Baudrillard: "Kunst ist in die Phase ihrer "indefinite" Selbstreproduktion eingetreten; alles was sich selbst verdoppelt, selbst die normale, alltaegliche Realitaet, "falls in the same stroke under the sign of art" und wird aesthetisch."3

Simulation und Hyperrealitaet sind die Konsequenzen/Ergebnisse dieser Form von Video, die sich so weit entwickelt hat und die Moeglichkeiten, die Videotechnologie bietet, bis zu den aeussersten Grenzen ausgeschoepft hat. (Vielleicht trifft das gleiche auf Prosperos Buecher von Peter Greenaway zu). Ein Videoclip referiert weder auf die Realitaet, noch repraesentiert er die Welt, die ausserhalb seiner selbst ist, er ist im Gegenteil eine totale Aesthetisierung: Madonna auf Video ist eine reine Simulation, die durch den Rhythmus des Clips konstituiert wird. Der Videoclip benutzt - und erschafft gleichzeitig - die Geschwindigkeit, von der Virilio spricht. Video loescht die Realitaet aus und ersetzt sie durch eine Virtualitaet, die - angesichts der perfektionierten Simulation von Realitaet (die wirklich nicht-existent ist) - einen groesseren Realitaets-Effekt erzielt, ueberzeugender als es die Realitaet selber vollbringen koennte.

Auf der andren Seite begegnet uns in Bilocation (1990) oder Three Sisters (1992) von Grzinic und Smid die Realitaet: sowohl die Szenen aus dem Krieg in Slowenien im Sommer 1991 als auch das zerstoerte Osijek und Vukovar zeigen das Reale, das in die Illusion des Videofilms eindringt. Die Illusion der Narration wird unterbrochen: Die Drei Schwestern werden zu drei Schwestern, drei Frauen, die gleichzeitig auf Motive Tschechows verweisen, drei Geschichten ueber Frauen, eine Gratwanderung zwischen Fiktion und Dokumentarvideo - und durch all das dringt die politische Realitaet durch. ("as if through seams")

Nichtsdestotrotz sind die politische Realitaet und die Kriegsrealitaet nur zwei Extreme; offensichtliche und erstaunliche Formen der Negation der Simulation, die Video sonst so erfolgreich erschafft. Diese Videofilme sind in ihrem anderen Aspekt, dem Aspekt des weiblichen audio/visuellen (= Video) Schreibens genau so praesent und zeigen das Wirkliche, nur dass es diesmal persoenlich, privat und somit das Gegenteil des ersten ist. An dieser Stelle ist es nuetzlich, sich des historischen Referenzfeldes bewusst zu werden, auf das sich die beiden Regisseurinnen/ Kuenstlerinnen sowie auch andere slowenische Kuenstler der 80'er Jahre beziehen. Es bezieht sich auf die Anfaenge des Russischen Suprematismus und Konstruktivismus und auf den Konflikt zwischen Revolution, dem Privatleben und der Kunst. Wir begegnen hier einer fast unmoeglichen, aber kuenstlerisch extrem produktiven Position der Russischen Avantgardekunst; die Revolution in reiner Kunst auszufuehren und gleichzeitig, sozusagen auf der Rueckseite die soziale Revolution in "Oktoberdimensionen" zu vollziehen.

Koennen wir daher also schliessen, dass Videokunst - oder zumindest ein Teil von ihr - eine Fortsetzung der traditionellen "?Partisanenschaft" (in) der Kunst ist? Wenn wir uns auf die Arbeiten unserer beiden Kuenstlerinnen beschraenken, ist die Antwort eindeutig negativ. Erstens, weil die Kunst der Oktoberrevolution auf eine andere Art und Weise Partisanenschaft geleistet hat, als es die darauffolgende Kunst getan hat (kritischer Realismus, sozialistischer Realismus oder Sartres Stuecke): sie war nicht "partisan", weder in der Art der Produktivisten noch in der Weise der intellektuellen Bourgeoisie. Zweitens ist die Antwort negativ, weil diese Kunst innerhalb der Postmoderne situiert ist, deren Ambivalenz von Terry Eagleton beschrieben wurde. Er schreibt: "Das meiste der postmodernen Kultur ist im gleichen Atemzug radikal und konservativ, ikonoklastisch und inkorporierend."4 Aber dann treffen wir vielleicht in den beiden erwaehnten historischen Faellen dieselbe Zweiseitigkeit an, die uns als Erklaerung fuer die Obsession postmoderner Kunst in postsozialistischen Gesellschaften bzw. in den Laendern mit den gleichen historischen Kunstavantgarden zum Zeitpunkt des Auslaufen des Sozialismus dienen koennten. Ohne die Ideen McLuhans heranzuziehen koennen wir sagen, dass das, was wir ueber das Fernsehen gesagt haben, auch fuer Video zutrifft. Auch weil wir Video fast ausschliesslich ueber den Fernsehbildschirm erfahren. "Wenn Bilder - von jemand anderem ausgewaehlt und konstruiert - ueberall zu der Hauptverbindung des Einzelnen zur Welt geworden sind, einer Welt, die er frueher selbst beobachtete, so ist es sicherlich auch nicht in Vergessenheit geraten, dass diese Bilder alles aushalten koennen; denn in einem einzigen Bild koennen alle Dinge ohne Widerspruch uebereinandergelegt werden."5 Video hat diese Eigenart zu ihrer gegenwaertigen aeussersten Grenze getrieben. Dies wird sowohl durch Musikvideoclips als auch durch Videokunst deutlich.

Gleichzeitig "verlieren die Dinge immer ihre Nuetzlichkeit", wie Baudrillard in "The Revenge of the Crystal" bemerkt. Deshalb erscheint ein Vergleich zwischen Film und Fernsehen auf der einen und Video auf der anderen Seite sinnlos. Bestaetigt wird dies durch die Videokunst von Marina Grzinic und Aina Smid. Diese Arbeiten sind auch ein Beweis, dass Video heutzutage eine entscheidende Transformation in der Geschichte der Repraesentation darstellt. Videokunst schafft ein Gefuehl des Sublimen. Es tut dies, wenn es die filmische Narration der 50'er Jahre wiederaufnimmt, wie die Kuenstlerinnen es z.B. in dem Video "At Home" (1987) getan haben und davor in "Moments of Decision" (1985), in dem Grzinic und Smid den gleichnamigen Film von Frantisek Cap (1952) eingreifen. Diese Infiltration, die natuerlich eine vollkommene semantische Transformation des urspruenglichen Film hervorruft, erreicht in "Moscow Portraits" eine aesthetische Form, in dem ein technischer Prozess, dessen Effekt an die Effekte in den Filmen "Robocop" und "Blade Runner" erinnert, eine Metamorphose von dargestellten Personen vollzieht, die sich - mit Hilfe von Computeranimation - vor unseren Augen verwandeln. Wie koennten wir Film- oder Fernsehtheorie, ganz zu schweigen von der Theorie der Photographie, verwenden, um diese Prozesse und die Bedeutung, die sie haben, zu beschreiben? Videokunst ist weder eine "Fortsetzung" des Fernsehens oder der Filmkunst, noch ist es "its culmination". Videokunst ist Kunst - ja, Kunst, noch Kunst! Wieder Kunst? Durch seine spezifische Art markiert es unsere Zeit des Wandels. Durch Frauengeschichten, Videonarration, technische Effekte, Montage und nicht zuletzt den chronologischen Ueberblick der Videofilme der beiden Kuenstlerinnen von den Anfaengen bis in die Gegenwart koennen wir sowohl diese Transition oder diesen Uebergang erkennen, als auch die politischen Ereignisse in Jugoslawien - jetzt Ex- Jugoslawien, die kuenstlerischen und persoenlichen Antworten darauf und die Angst. Gleichzeitig bekommen wir eine Ahnung von dem groesseren Wandel der Wahrnehmung und von dem Verschwinden einer Welt, wie wir sie einmal kannten. Stefan Zweig? Thomas Mann? Video ist die Komponente einer neu auftauchenden und gleichzeitig das Aufnahmegeraet der verschwindenden Welt. Es ist Kunst, natuerlich! (Videokunst).

____________________ 1 Paul Virilio, "Cinema vitesse", Revue d'Esthetique (Video- Video), No. 10, 1986, S. 38 2 Jean Baudrillard, "Revenge of the Crystal: An Interview by Guy Bellevance", Revenge of the Crystal, London 1990, S. 28 3 Jean Baudrillard, "Symbolic Exchange and Death", in: Selected Writings (Edited and Introduced by Mark Poster), Polity Press, Cambridge 1988, S. 147 4 Terry Eagleton, "The Ideology of the Aesthetic", Basil Blackwell, Oxford 1990, S. 373 5 Guy Debord, "Comments on the society of the Spectacle", Verso, London 1990, S. 27

Dr. Ales Erjavec (aus dem Katalog der Retrospektive der Videoarbeiten von Marina Grzinic und Aina Smid 1982-92 im Informationszentrum der Modernen Galerie, Ljubljana, 15. Dezember 1992 - 8. Januar 1993)