Im Sommer 1993 entdeckten wir auf dem Kasernengelände von Krampnitz eine von russischen Militärs bemalte Mauer. Auf dieser Mauer sind Bewegungssequenzen von Turnübungen. Diese Studien wurden wahrscheinlich zum Zwecke der besseren Nachvollziehbarkeit in stilisierte Einzelbilder zerlegt. Für unsere Wahrnehmung ergab sich das Gefühl des eingefrorenen Moments. Vergleichbar mit dem formalen Denkansatz von Eadweard Muybridge, der verschiedene Stadien innerhalb einer Bewegung fotografierte, besteht die Analogie zwischen der bemalten Wand und der mit Hilfe mehrerer Bilder festgehaltenen Bewegung eines Pferdes in der Reduzierung auf den Inhalt: Die Demonstration eines Vorgangs, der nur aufgrund der Überführung einer komplexen, dynamischen Wirklichkeit in ein lineares Splitting gelingt.

Die Tatsache, dass die Wand einen nachhaltigen Eindruck auf uns gemacht hat, wird zeitgleich durch eine von den Medien verbreitete Information ergänzt: Eine Zeitungsmeldung offeriert den Unmut der Kirchengemeinde der Berliner Gedächtniskirche über den seit längerer Zeit bemerkten penetranten Harngestank im Gottesraum. Die daraufhin eingeleiteten Untersuchungen kammen nicht nur der bekannten Ursache auf die Sour. Neben den Beweisen für das ständige Bepinkeln der Fassade ermittelte man, das nicht nur die Gruchsbelästigung eine Folge der permanten Notdurft ist. Die Bausubstanz der Fundamente ist inzwischen gefährdet.

Zwei Vorgänge - die sportliche Ertüchtigung und das Urinieren - stehen unfreiwillig für Sicherheitsdenken (Fireden, Kleidung), Statusdenken (sportlicher Soldat, sauberer Mensch), Banalität der Geschichte ( Abzug der Russen; Jemand hat ein Bedürfnis). Begriffliche Konstellationen, die für einen dialogischen Spannungsraum stehen. Ein Spannungsraum, in dem Korrespondenzen zwischen künstlerisch Arbeitenden stattfinden können.

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